Warum ist die Musik in Thrillern für viele nur so nervenaufreibend? Susanne Hardt will es genau wissen.
Warum nur geht diese junge Frau allein in ein verlassenes Haus? Das muss doch nicht sein! Irgendetwas Schlimmes wird passieren, das ahnt der Zuschauer, und der Herzschlag beschleunigt sich. Es ist kaum auszuhalten. Die ganze Szenerie wirkt einfach zu bedrohlich. Wenige Augenblicke später springt ein verrückter Mörder mit einer Kettensäge ins Bild. Was danach folgt, ist wenig appetitlich.
Während sich andere bei solchen Szenen die Ohren zuhalten und damit beschäftigt sind, konzentriert an Messer, Axt und Säge vorbeizuschauen, hört Susanne Hardt genau hin. „Hier setzen die hohen Synthesizer-Töne ein“, sagt die 29-Jährige und markiert eine Stelle in einem Computerprogramm. Darin sammelt sie Informationen zum Einsatz von Musik in nervenaufreibenden Thrillern. Insgesamt 50 Schocker will sie für ihre Doktorarbeit analysieren. Die Ergebnisse sollen später Filmkomponisten helfen.
Auf den ersten Blick wirkt Susanne Hardt nicht wie eine Frau, die in ihrer Freizeit gern Blutrünstiges im Fernseher anschaut. Sie lächelt viel, spricht überlegt und eher leise. Sie geht auf ihr Gegenüber ein, entschuldigt sich, wenn sie kurz vom Thema abschweift oder vermeintlich etwas zu kompliziert erklärt. Sie ist einfach sympathisch. Warum nur tut sie sich dann solche gruseligen Filme an? „Ich hatte eine Phase, in der ich mit meinem damaligen Freund gern solche Thriller angeschaut habe“, erzählt sie.
Als Kind lernte sie Geige und Klavier, studierte später im Bachelor Musiktheorie an der Musikhochschule Carl Maria von Weber Dresden und machte den Master im Fach Filmmusik an der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf. „Irgendwann stellte ich Muster fest, die in der Filmmusik verschiedener Thriller immer wieder auftauchten.“ Parallelen, die die Komponisten einsetzten, um für die richtige Stimmung zu sorgen. Sie fragte sich, ob das irgendwelchen Gesetzmäßigkeiten folgt. „Ich habe damals überlegt, welches Thema ich in einer Promotion bearbeiten könnte – und plötzlich war es da.“
Auch interessant:
Drei Tote in ukrainischem Dorf nach russischem Artilleriebeschuss
Bürgermeister-Wahl in Pulsnitz: Noch kein Gewinner im ersten Wahlgang
Aber wie bringt man Ordnung in die Musik eines Films? Wie wird etwas wissenschaftlich auswertbar, das viel mit Emotionen beim Anschauen zu tun hat? Im September 2022 begann sie mit ihrer Promotion an der Musikhochschule Dresden. „Ich habe gleich zu Beginn des Forschungsvorhabens gemerkt, dass ich für die Erfassung der Daten eine eigene Filmmusikdatenbank brauchen werde“, erzählt sie.
Gemeinsam mit Thorsten Seyschab von der TU Dresden entwickelt sie ein eigenes Programm. Eine erste Version der Datenbank ist bereits fertig und ermöglicht es der Doktorandin, den Filmen anhand einer Zeitleiste Analyseparameter wie Taktart, Grundton, Lautstärke, Dynamik, die gewählten Instrumente und den Inhalt der Szene zuzuordnen. Minutenweise sieht und hört sie sich nun die gruselig-spannende Filmwelt aus Europa und den USA der vergangenen zehn Jahre an. Im Film hat der Motorkettensägen-Mörder das Instrumentarium derweil gewechselt: Er greift zur Axt. Das Instrumentarium spielt auch für Susanne Hardt eine wichtige Rolle. Wenn auch völlig anders. Welche Instrumente sind zu hören? Gibt es eine Melodie oder einen klar erkennbaren Rhythmus?
Für ängstliche Menschen hat sie gerade in Hinblick auf Letzteres einen wichtigen Tipp. „Je weniger Rhythmus in der Musik zu einer Szene erkennbar ist, desto gefährlicher wird es.“ Mordlustige Typen tanzen nun mal nicht zu Popklängen oder Walzertakten ins Bild, ihr Tun wird begleitet von hohen Tönen, die sich zum nervenaufreibenden Klangteppich verkleben. „Wer so etwas hört und eher ängstlich ist, macht also besser die Augen schon mal zu“, rät die Wissenschaftlerin. Bei rhythmisch klar strukturierter Musik wirkt das Geschehene plausibel, lange Liegetöne ohne nachvollziehbaren Rhythmus verunsichern.
Wie schafft sie das überhaupt, 50 Grusel- und Thrillerschocker anzuschauen, ohne davon schlechte Träume zu bekommen? „Ich schau die natürlich tagsüber, wenn es hell ist, an meinem Computer.“ Professionelle Arbeitsatmosphäre gegen mögliche Gruselattacken. Das klappe ganz gut. Noch liegt der größte Teil der Analysen vor ihr, ist es zu früh, um zu erkennen, ob die gefühlten Parallelen in den Kompositionen für Thriller sich auch in den erfassten Daten widerspiegeln. Aber die ersten Muster ließen sich laut Susanne Hardt schon erkennen. „Wenn alles gut läuft, habe ich am Ende des Forschungsvorhabens ein kompositorisches Schema für eine bestimmte Wirkung von Musik in Filmszenen, das den handwerklichen Teil der Arbeit von Filmkomponisten sehr erleichtern wird.“
Diese Welt soll auch ihre werden. Schon als Kind faszinierte sie das Thema Filmmusik. „Ich liebte zum Beispiel die Kompositionen von Danny Elfman zum Film ‚Sleepy Hollow‘“, erinnert sie sich. Auch schon nichts für schwache Nerven. In der Oberstufe am Gymnasium begann sie bereits eigene Musik zu schreiben. „Ich wusste schon damals, ich will später auch Filmmusik komponieren.“ Für kleinere Projekte hat sie bereits gearbeitet. Heute seien aber beispielsweise auch Computerspiele aufwendig produziert, für die oft eigene Musik komponiert wird. Das Betätigungsfeld wird größer.
Neben der Analyse der Filme arbeitet sie weiter an der Entwicklung ihrer Filmmusikdatenbank. Auch Außenstehende können auf der Online-Seite eigene Zeitleisten für den Musikeinsatz in Filmen anlegen. „Es wäre beispielsweise spannend, wenn das Programm später verschiedene dieser Zeitleisten zu ein und demselben Film vergleicht“, erklärt sie. Die Auswertung soll in Zukunft sowieso automatisiert werden. Noch muss sie dafür vieles händisch machen. „Die Idee ist, dass Nutzer am Ende Filmszenen zu bestimmten musikspezifischen Kriterien ausgeben können.“ Wie werden also zum Beispiel Celli eingesetzt oder in welcher Art von Szenen ist das Tempo am schnellsten?
Gleich zwei Professoren betreuen Susanne Hardt bei ihrer Doktorarbeit: Robert Rabenalt von der Dresdner Musikhochschule und Martin Rohrmeier, Direktor des Digital and Cognitive Musicology Lab an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne. Beide fänden das Vorhaben spannend. „Wenn auch Martin Rohrmeier mir gestand, dass Thriller so gar nicht sein Genre sind“, sagt die junge Frau lächelnd. Aber anschauen müsse sie die Filme ja sowieso allein – wenn es hell ist.
Auch spannend:
2023-03-18T13:36:02Z dg43tfdfdgfd